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Die Schublade namens Nationalität

 

Kann man Menschen in Schubladen der Nationalität stecken?

Sagt die Nationalität etwas über den wahren Charakter des jeweiligen Individuums aus? Sind demnach alle Italiener Machos, alle Ungarn Diebe und jeder Deutsche sparsam?

 

Schon seit  Jahren quält mich ein und dieselbe Frage: Was bin ich?

Führt die Antwort auf diese Frage auch zur Lösung jener, wer ich bin?

Bin ich Deutsche oder Ungarin, oder vielleicht eine ungarndeutsche Donauschwäbin?

Meine Heimat liegt in verschiedenen, für mich oft ineinander verschwimmenden Kulturen. Die Hälfte meines Lebens, insbesondere meine Kindheit, habe ich in einer anderen Welt verbracht. Was auch immer unter „anders“ verstanden werden kann…

Dasselbe Phänomen zeigt sich ebenfalls in meinem Sprachgebrauch.

 

Mir war die ungarische Sprache immer etwas fremd mit ihren etwa 1000 Ausdrücken für eine einzige Semantik. In der deutschen Denkweise fühlte ich mich jedoch etwas wohler, obwohl  jenes Wohlgefühl mit den Jahren und dem stets steigenden „Routineverlust“ oft nicht mehr zu spüren ist.

Demnach würde mich gegenwärtig niemand mehr als deutschen Muttersprachler bezeichnen, wenn ein „richtig echter“ Deutscher vor mir stünde.

Mein ganzes Leben ist geprägt von diesem Hin und Her der Identität. Schon beim Ausfüllen eines herkömmlichen Formulars komme ich ins Schwitzen. Von Fragen wie: „Staatsangehörigkeit?“, „Muttersprache?“ und „Wohnort?“ gar nicht zu sprechen…

 

Naiv wie ich bin, glaubte ich wenigstens mit Sicherheit meinen Herkunftsort bestimmen zu können.

Dies wäre dann nämlich das Dorf meiner Eltern, Großeltern, der Aufenthaltsort meines ersten Lebensjahres, also jenes unbedeutende Dörflein, in das ich nach meiner Rückkehr aus der „anderen“ Welt auch wieder gezogen bin, das winzige Borjád im südlichen Ungarn, welches in einem Tal, umrandet von Hügeln für den Weinanbau, an einem gemächlich plätschernden Bächlein ruhig vor sich hindöst.

 

Jetzt wiederum denke ich, dass ich da wahrscheinlich nie so richtig reingepasst habe. Als wäre ich ein Puzzle-Teilchen, welches sich dem System querstellt.

Nachdem ich schon seit mehreren Jahren woanders hause, spüre ich diese undefinierbare Kälte, die meine ganzheitliche Aura oft erfrieren lässt.

Denn in jenem Dorf, wo ich alles zu kennen glaubte, wirkt jetzt bei jeglicher Vertrautheit alles fremd. Nichts ist mehr so wie es in meiner Kindheit war…

Ob es einfach nur daran liegt, dass ich kein Kind mehr bin?

 

Den langjährigen Aufenthalt in Deutschland empfinde ich eher als eine Zwischenstation und dennoch sehe ich mich eben auch als Deutsche, auch wenn meine doppelte Staatsbürgerschaft (anhand der „Schubladen-Philosophie“ jedenfalls) meinen Charakter entzwei spalten würde.

 

Spielt dies überhaupt in Zeiten der Globalisierung und der Multikultur irgendeine Rolle?

Wenn nicht, wieso wird Frau ständig gefragt:

„Woher kommst du?“ oder „Was bist du?“

Egal, ob jetzt auf Land, Nationalität oder einfach nur Stadt/Dorf (wie es die Ungarn immer gerne wissen möchten) bezogen, wobei es in diesem Zusammenhang interessant wäre, der Frage nachzugehen: Ist Land gleich Nationalität?

Was ist dann mit den Minderheiten?

 

 

Wenn ich darauf mit einem „Ich bin Chinese“ antworte, wird dann überdies mein Gegenüber wissen, WER ich bin?

Auf jeden Fall kann nunmehr der Befragte eingeordnet, einer Kategorie zugewiesen werden, die der Mensch ja so unweigerlich benötigt, wie die Luft zum Atmen oder das Wasser zum Überleben, um sich eben in einer Welt, wo reines Chaos herrscht zurechtzufinden.

Jene Kategorien könnten auch als Wegweiser bezeichnet werden, bei denen alles Wahrgenommene benannt und in eine Kaste gestopft werden kann. So wird die Angst vor dem Unbekannten und Unbenannten genommen.

 

2010

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