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Warte im Zimmer

 

Ein Wartezimmer, viele Türen versehen mit Zetteln, worauf Öffnungszeiten und fremd erscheinende Wörter wie „Allergologie”, „Orthopädie”, „Psychatrie”, alles mit „ie” am Ende, stehen.

Stühle, lückenhaft besetzt mit unterschiedlichen Menschen. Lange, kurze, runde, schmale, rot-braunhaarig oder blond. Braun- oder weißhäutig, arm oder reich, hochintelligent oder „strohdumm”. Hier sind wir allesamt gleich. Alle sind gekommen, warten in jenem langen Flur benannt nach dessen Funktion: „Warte-im-Zimmer”, bis jemand im weißen Kittel eine dieser unheimlichen Türen öffnet und einen auserwählten Namen ruft.

Hier sind wir nun in diesem Augenblick, die kranke Gesellschaft aus Südwestungarn. In so vielen Facetten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Zahlreiche Lebensgeschichten, Menschen in so vielen Lebensabschnitten.

Zwischen dem Getümmel und dem Gemurmel ein Kleinkind, das gerade grundlegende Fähigkeiten erlernt hatte, die von nun an sein Leben bestimmen: Gehen, Rennen von einem Ort zum anderen; Sprechen, nach der Mutter rufen.

Junge Leute, die schon jetzt 10 Tabletten pro Tag schlucken müssen, um ihren Alltag so schmerzfrei wie möglich überstehen zu können. Bis hin zu der grauhaarigen Großmutter, mit dem Kreuzworträtsel in ihren zittrigen Händen und ihrer neben dem Stuhl liegenden Gehhilfe. Tausend Falten im Gesicht, die von vielen Emotionsmomenten voll Lachen, Glück und auch herzzerreißender Trauer zeugen. Wird es ihr letzer Weg im Leben sein?

Wartend auf die ewig erscheinende Wechselwirkung der Reihenfolge verfolge ich die unterschiedlichen Gesichter, solange, bis…

 

Und da! Mein Warten hat ein Ende, die Tür geht auf.

Eine freundliche junge Frau bittet mich herein und ich verschwinde im Flutlicht des grellen, unendlichen Weiß, während sich die Tür hinter mir wieder schließt.

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Mai 2014

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